Wenn ich nach Südtirol fahre, was nicht selten der Fall ist, bevorzuge ich die Route über den Reschenpass. Ich mag den oberen Vinschgau. – Den Reschensee mit dem Kirchturm, der mal mehr, mal weniger tief im Wasser steht, aber immer erinnert daran, dass da einmal ein Dorf war, das dem Stausee weichen musste. Den kleineren, schmucken Haider See, wo sich im Winter Eissegler tummeln. Die Malser Haide, dieser riesige Schwemmkegel, und die Weite, die sich plötzlich auftut. Die Wiesen um diese Jahreszeit ein Meer saftig gelben Löwenzahns an sattgrünen Blättern. Die Orte, malerisch, wie hingegossen, alle für sich sehenswert, geschichtsträchtig – Mals, Burgeis, Laatsch. Das faschistische Kriegerdenkmal, ein Ossarium, im Volksmund Boanerturm genannt, hässliches Mahnmal italienischen Besitzanspruchs inmitten fruchtbarer Felder. Rechts oben im Hang thront weithin sichtbar das Kloster Marienberg, imposantes Monument geistlichen Besitzanspruchs. Darunter die Fürstenburg. Schließlich, wenn man an Tartsch und am sagenumwobenen Tartscher Bühel vorbei ist, sieht man unten in der Mitte der Talsohle das Städtchen Glurns, von dem aus es nur ein Katzensprung ist ins Val Mustair (Graubünden, CH).
Bei meiner letzten Südtirol-Fahrt habe ich in Glurns eine Pause eingelegt, bin durch den Ort spaziert, habe einen Macchiato im Stadtcafé getrunken, das ein bisschen was von einem italienischen Stehcafé hat, in einem Innenhof liegt, und an dem die Touristen verlässlich vorbeigehen. Und ich habe fotografiert: die imposante Stadtmauer, die Wehrtürme, die gedrungenen, meist schmucklosen Häuserzeilen – die in der Laubengasse mit Gängen so niedrig, dass man sich automatisch duckt; immer wieder herrliche Hinter- und Innenhöfe, schmucke Gärten und Gärtchen … und Ställe. Ja, richtige Stallgebäude, alt, aus Stein und Holz. Bis vor wenigen Jahrzehnten wurden sie noch intensiv genutzt, trieben die Bauern ihre Rinder durch die schmalen Gassen der Stadt. Nun haben die meisten ihre Wirtschaftsgebäude außerhalb der Stadtmauern. Natürlich fotografierte ich auch das Geburtshaus von Paul Flora, dem grandiosen Karikaturisten und Zeichner, der fast sein ganzes Leben in Innsbruck verbrachte, aber auf eigenen Wunsch in Glurns begraben liegt. Er ist der größte Sohn der Stadt und sie würdigt ihn – mit einem Museum im Kirchtorturm.
Fast 900 Menschen wohnen in Glurns. Es ist also, trotz aller Nachteile, die mittelalterliche Städte an sich haben – enge Gassen, kleine Fenster, kaum Balkone –, offensichtlich lebenswert hier (und das, obwohl der Verkehr mächtig braust durch die Stadt). Besuchenswert ist Glurns für mich immer wieder.
Ich mag diese Stadt mit ihrem stolzen bäuerlich-archaischen Flair. Und ich liebe den oberen Vinschgau: Er ist karg und üppig zugleich, historisch spannend und voller kulturgeschichtlicher Sehenswürdigkeiten. Und die Landschaft hier ist so weit, eine wahre Augenweide. Wenn ich das nächste Mal nach Südtirol fahre ...
Genauso geht es mir schon viele Jahre und in allen Jahreszeiten. Auch Paul Flora habe ich schon dort getroffen, vor vielen Jahren …
Einfach eine wirklich schöne Gegend.
So schön! Und ich bin immer schockiert, wenn mitten in einem See ein Kirchturm oder ein Baum herausragt. Das ist so traurig irgendwie, oder?